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von Moana Bee

 

 

Ende des Jahres. Meine Ersparnisse sind nahezu aufgebraucht und drei Monate ohne Einkommen kann ich unmöglich überbrücken, außer, es passieren zu Weihnachten doch Wunder.

Also, Frau Prof. h.c. der Verlorenen Wissenschaften, Ihre Forschungsskills sind nun erfragt, wie viel Kohle monatlich macht ein Camgirl denn so im Durchschnitt? Das Anliegen wird an den verehrten Kollegen Herrn Google in etwa demselben Wortlaut weitergeleitet: camming+monthly+cash. Als erstes stoße ich auf Blogbeiträge von digitalen Sexarbeiterinnen, die von unglaublichen Summen bis zu 1300 US$ in der WOCHE berichten, ohne sich dafür sonderlich anstrengen zu müssen. 20 bzw. 30 Wochenstunden maximal, länger beanspruchen sie ihre Toys nicht, dazu teilen sie sie sich nach Lust und Laune ein, wenn auch mit einer gewissen Regelmäßigkeit.

An die 1100 Euro also, selbst nach Abzug der ganzen Abgaben an unseren unerbittlichen Finanzwichser bleibt davon netto fast doppelt so viel übrig wie das Scherflein, das mir früher brutto auf Vollzeitbasis genehmigt wurde.

Musste ich für meinen alten Job Qualifikationen nachweisen, um die zu erwerben ich jahrelang strebsam durchgebüffelt habe, reicht hier jedoch lediglich die Ausdauer unserer Spielzeuge, und je tiefer meine Recherche, desto aufdringlicher stellt sich die Frage, was wir für die Weitergabe unserer Werte im Teufelsnamen denn daraus lernen sollten. Gehe auf die Uni, stopfe dich in drei verschiedenen Sprachen mit Fachliteratur voll, absolviere währenddessen mehrere unbezahlte Praktika gleichzeitig zu deinen Studentenjobs, sammle nach dem akademischen Abschluss kostspielige Zusatzscheine, um dich für die Ausübung des gewählten Berufs berechtigen zu lassen, dann hundert ehrenamtliche Stunden oben drauf als Nachweis deiner beruflichen Erfahrung, damit du überhaupt einsteigen darfst, und deinem Arbeitgeber ist das alles ungefähr 10 € netto in der Stunde wert, aber wenn eine blonde Semi-Analphabetin ihre Beine vor der Cam spreizt und japsend rumzuckt, beträgt ihr Lohn pro Minute locker das Vielfache.

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Willkommen im 21. Jahrhundert, Alte, heutzutage fahren die Leute mit dem Uber zu den Grauzonen, an denen sich ihre Herbergen befinden, suchen sich ihre ONS mittels Smartphone aus und bedienen damit auch die Geräte in meilenweit entfernten Muschis gegen instant übertragene Kryptowährung. Das nennt sich Technologie und im Unterschied zu deinem weltfremden Geisteszeug ist sie nicht dafür gedacht, bloß von einer Handvoll selbsternannten Experten verstanden zu werden, sondern um unseren Alltag in jeglichem Bereich zu erleichtern. Werte? Schön und gut, als Zahlungsmittel werden sie aber nirgends akzeptiert, außerdem wodurch würdest du sie verraten, wenn du vor irgendwelchen Fremden, die dich nicht mal anfassen können, ab und an dein Höschen ausziehst? Weder würde ich sie dazu nötigen noch wen beleidigen noch hege ich sonstige ethisch verwerfliche Absichten, und dass Idealisten nicht unbedingt zu den Top-Verdienern gehören, wurde mir bereits während der ersten Semester bewusst, selber Schuld also, dass ich den Unsinn trotzdem weiter studieren hab wollen.

 

Ein weiterer Punkt zugunsten dieses Gewerbes: mit meinem komplett gestörten Biorhythmus ließe es ideal vereinbaren. Wegen der Schlafstörungen, die mich seit meiner Kindheit plagen. Einzig treu sind mir jene geblieben, die ähnlich wie ich sich erst schlafen legen, wenn der Morgen anbricht, wie mein Ex und nun enger Freund Niko, der seine genialsten Softwares zu Vampirzeiten programmiert, sowie die paar Schreiber, die mich gelegentlich bis zum Tagesanbruch mit ihrer Gesellschaft ehren.

Was würden sie sagen zu meinem Werdegang in diesem speziellen Sektor der Internetdienstleistungen? Nikos Einstellung zu Cyberprostitution kenne ich bereits, er findet’s okay, sofern weder Gewalt noch Zwang darin involviert werden und würde mich ohnehin bestimmt in jeglichem technischen Belangen unterstützen, während die Schreiber eventuell auf das neugierig wären, was sich auf diesen virtuellen Sexplattformen alles so abspielt.

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Meine eigene Neugierde vergeht mir in dem Moment, an dem ich erneut durch die Portale surfe, um mein Gedächtnis aufzufrischen. Viel Haut, Gestöhne, vorgetäuschte Spasmen und diese ewigen verkrampften Entenschnuten, die so aussehen, als hätten Wespen in Schwärmen reingestochen (ist es nicht mühsam auf Dauer, ihr Süßen?).

Jetzt könnte ich vorerst das ganze rein dialektisch betrachten, also These: Durch Camming kommt man schnell und easy zu money. Antithese: Mag sein, mich kotzt das aber an. Synthese: 628,15 Euro. Mehr habe ich auf meinem Konto grad nicht.

 

Neues Jahr, neues Glück. In meinem Fall trägt das Glück die Marke Logitech und erstanden habe ich’s mit der Knete, die mir Niko zum Parmesan in die Handtasche schmuggelte, als ich kurz nach Weihnachten bei ihm putzen war.

Nun, moanabee, ich taufe dich im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Das Anziehen vom weißen Kleidchen der Unschuld überspringen wir aber und nehmen uns gleich Sündigeres vor. Mieder aus roten Spitzen, rote Straps, rote Netzstrümpfe, darüber mein Minirock aus ultraengem Jeansstoff, mit dem ich im Hörsaal schon alle Blicke auf mich ziehen wollte, breiter Ledergürtel, Bluse mit Rüschen in Leopardenmuster und - das Beste zum Schluß - meine sündhaft teueren Plateauschuhe, die ich mal im Ausverkauf ergattert habe trotz Gewissheit, ich würde mich niemals damit auf die Straße wagen. Ordinär sind sie keineswegs, aber doch auffällig allein wegen ihrer Farbe, zum Ablecken, sattes Weinrot von Spitze zu Heels auf jungfräulichen, schwindelerregend hohen Sohlen in der Form einer Kernwaffe. Völlig fürn Hugo, dachte ich nach dem Kauf, aber bei Schuhen sind wir Frauen wie Oscar Wilde – allem können wir widerstehen, nur der Versuchung nicht. Im Nachhinein hat es sich doch gelohnt, damit könnte ich jetzt glatt als Salma Hajek in der Rolle einer Edelnutte durchgehen. In etwa gleich groß wäre ich immerhin, dunkelhaarig ebenso, nur nicht annähernd so kurvig mit meinen nicht zunehmen wollenden 42 kg, dafür ähnlich kantig unser Gesicht – womit es leider aus wäre mit unseren Ähnlichkeiten. Den möchte ich mir auch leisten können, den Schönheitschirurgen, der ihr diese frischen Backen in Botox eingebettet auf dem Gesicht zaubert. Stattdessen muss ich wohl auf günstigere Mittel zurückgreifen und am professionellsten gehe ich dabei in Schichten vor: Schichten von Make-up, um Fältchen und  Augenringe halbwegs abzudecken, Schichten meines wasserfesten, schwarzen Eyeliners, damit es auch hält, während ich mir meinen Dildo tief in den Hals reinschiebe und die Tränen dabei hochkommen, Schichten von Tusche auf den Wimpern für einen extra-dramatischen Blick, Schichten von Kirschrot auf einen Mund, der bald vergessen wird, wie man küsst.

Fortsetzung folgt:

„Der erste Chat“

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Credit

Traumhafte Schönheit: Moana Bee

Korrektorat Nadia Ratti, Bastian Exner und Anna Staudacher

Der Fisch des reinen Seins

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Von Helge Timmerberg

&

Frank Zauritz

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