Heinz, der Nasenfisch
oder
Der Fisch des reinen Seins.
Über diesen Fisch weiß man eigentlich nichts. Man weiß nicht, ob er männlich oder weiblich ist, denn dafür müsste man ihn schlachten und das will man nicht. Man weiß auch nicht, was er mit der langen Nase macht. Kämpfen jedenfalls nicht. Gekämpft wird beim Hornfisch mit der Flosse. Während die Doktor-Fische, mit denen er verwandt ist, an der Flosse einen ausklappbaren Stachel tragen, hat er an dieser Stelle nur eine Verknorpelung, und das ist seine einzige Waffe. Feind? Wahrscheinlich jeder Fisch, der ein bisschen größer ist. Freunde: ich.
Aufruhr im Aquarium
Ich mache mir eigentlich nichts aus Fischen. Ich ging nur der Ordnung halber ins Aquarium und marschierte relativ zügig an rund 5000 Fischen in 440 Arten vorbei, ebenfalls passierte ich tausende von Wirbellosen sowie Haie, Welse und Muränen und auch goldfischähnliche Phänomene, bevor ich es aufgab und stehen blieb.
Natürlich war da ein Aquarium. Ein Landschaftsaquarium, Untergruppe: Korallenriff. Man kann sich davor setzen und sein Gesicht an die Scheibe pressen. Die Hände werden wie Scheuklappen benutzt, um rechts und links alles auszublenden. Und, zack, klebte ein etwa kugelschreiberkleines Fischlein auf seiner Seite der Scheibe, etwa in Höhe meiner Nase, dann in Höhe meiner Lippen, dann klebten wir Auge an Auge. Es hatte ein wunderschönes Schuppenkleid, rot, in allen Variationen, und zappelte aufgeregt und, zack, klebten drei weitere Augen in meinem Gesicht, diesmal von bratpfannengroßen Fischen, und wäre das Glas nicht dazwischen gewesen, hätte man von Liebe zwischen reichlich unterschiedlichen Arten sprechen müssen. Fisch küsst Journalist. Aufruhr im Aquarium, nur einer blieb cool.
Spezi: Naso spec
Heimat: Indo-Pazifik (reicht von Ost-Afrika bis Hawaii). Tiefe: 40 bis 50 Meter. Alter: schon wieder unbekannt. Er wurde 1995 über ein Zoogeschäft eingekauft. Vorliebe: schwimmt gerne geradeaus. Kurven, Ellipsen, Achterbahnen interessieren ihn nicht, ebenso wenig wie mein Gesicht. Alle 20 Sekunden passierte er mein Blickfeld mit einer gewissen Hochnäsigkeit, so als wäre ich ein Stück Korallenriff.
Mich faszinierte dabei Folgendes. Erstens: die lange Nase. Zweitens: die dicken Backen. Drittens: der treuselige, immer leicht flötende Mund. Die Karikatur eines menschlichen Gesichts gefangen im Körper eines Fischs. Eine Meerjungfrau? Außerdem wechselt er ständig die Farbe. Seine Schuppen müssen dermaßen silbern sein, dass sie wie Spiegel auf ihre Umgebung reagieren. Anders kann ich es mir nicht erklären. Mal ist er zur einen Hälfte hellblau und zur anderen
moosgrün, mal ist er einfarbig, und wenn er in die Korallenriff-Deco des Aquariums hineinschwimmt, ist er plötzlich rot-braun gepunktet.
Droht ein Nasenfischsterben?
Indirekt, als Folge eines Absterbens der Korallenriffe. Die Meere erwärmen sich, jedes Grad mehr bedeutet weniger Sauerstoff im Wasser. Erst werden die Korallen sterben und dann stirbt (vielleicht) der Nasenfisch.
Zurück ins Aquarium. Die Wassertemperatur liegt bei idealen 25 Grad, und die Meerwassermischung ist artgerecht angesetzt mit 76 verschiedenen Salzen. Zum Thema Freiheitsberaubung ist zu sagen, dass sein Aquarium 24000 Liter fasst, das sind 170 Badewannen. Außerdem: Auch im freien Meer schwimmen sie in Schwärmen, und keiner hat da mehr Platz als hier. Seit sechs Jahren zieht der Hornfisch mit der langen Nase seine Geraden von Beckenrand zu Beckenrand und glaubt, es sei die Karibik, oder die Malediven, oder irgendwas rund um Hawaii. Er kriegt gar nicht mit, dass er gefangen ist. Was wir Menschen für ihn sind? Schatten. So erkennt er auch seine Pfleger. Ein großer Schatten füttert anders als ein kleiner, breiter.
Der Fischphilosoph
Noch mal, die Karikatur eines menschlichen Gesichts. An wen erinnert er mich? Ich habe ihn dreimal besucht und kam nicht drauf. Ok, er sieht artig aus, so wie jemand, der in einer kleinen Mansarde wohnt. Alleinstehend. Keine Führungskraft. Aber: Philosoph.
Der Hornfisch, von mir Nasenfisch genannt, könnte also auch Heinz-Rühmann-Fisch heißen, kurz Heinz, aber der Rufname des großen Philosophen Heidegger (Martin) ginge auch.
Dann wäre er der Fisch des reinen Seins. Er macht nichts, er fühlt nichts, er denkt nichts – er ist. Ich weiß nicht, ob man das Glück nennen kann. Geht‘s um Glück bei einem Fisch? Oder geht‘s darum, schmackhaft zu werden? Man weiß es nicht.
Autor Helge Timmerberg
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Korrektorat
Nadia Ratti, Bastian Exner und Anna Staudacher