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„Wenn ein Elefant durchs Dorf geht, bellen die Hunde“, sagen die Inder, und weil ich mich nicht als kläffender Köter positionieren und trotzdem eine mir wichtige Frage stellen will, baue ich auf seine Altersmilde.

 

„Herr Würth, Sie sind Milliardär und gläubiger Christ...“

 

Der Konzernherr nickt.

 

„Wie werten Sie dann die Aussage von Jesus, dass eher ein Kamel durchs Nadelöhr geht als ein Reicher ins Himmelreich.“

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„Aber wir tun doch mit dem Geld nicht schlechtes.“

 

„Ich weiß,  Sie haben weltweit 70 000 Mitarbeiter und an denen hängen Familien. Sie ernähren über 100 000 Menschen...“

 

Der achtreichste Deutsche nickt.

 

„Und darüber hinaus tun Sie enorm viel für die Kunst, Kultur und Infrastruktur ihrer Region, aber auch für die Vereinigung Europas. Das Betriebsklima bei Würth wird hochgelobt , Sie sind sozial, karikativ und fair. Nein , Sie tun nichts schlechtes mit dem Geld, und darum frage ich ja, wie Sie das sehen. Hat sich Jesus da geirrt, oder sind Sie die Ausnahme der Regel?“

 

„Ach“, sagt Reinhold Würth, und jetzt lächelt er „ vielleicht hat er es ja auch nicht so gemeint“.

 

„Ja, das kann sein.“

 

Vor mir sitzt ein sympathischer alter Herr in perfekter, korrekter, aber nicht unbequemer Garderobe. Er hat schöne Hände und mit diesen Fingern hätte er auch als Pianist oder Gitarrist eine Weltkarriere machen können. Er machte sie mit Schrauben. 

Obwohl sie mich überall  umgeben und ohne sie mein Leben ein komplett anderes wäre, interessiere ich mich  für Schrauben nicht die Bohne. Mich interessiert Erfolg und Reinhold Würth ist einer der erfolgreichsten Unternehmer der deutschen Nachkriegszeit. Darum bin ich hier und habe dafür weder Mühen noch Qualen gescheut.

 

Weil ich wenigstens einmal im Jahr grün denken wollte, hatte ich für die Anreise nach Künzelsau nicht das Auto, sondern die öffentlichen Verkehrsmittel gewählt. Das war ein grober Fehler. Ab Würzburg verabschiedete mich die fabelhafte ICE-Welt und überließ mich den Regionalbahnen, die schlecht für alle sind, die schon mal unter einem Bandscheibenvorfall gelitten haben, aber auch schlecht für Menschen, die noch keinen hatten, und so genießt man die Schönheiten der fränkischen Schweiz nicht sonderlich, aber immerhin ging es bis Bad Mergentheim noch auf Schienen voran. Dann endet die deutsche Eisenbahn. Nach Künzelsau fährt nur noch ein Bus etwa eine Stunde lang, und er hält an jeder Milchkanne. 

Die Konzernzentrale liegt in der absoluten Provinz. Und was ist das eigentlich für ein Name? Künzelsau! Meinen die das ernst? Ja, sie meinen es ernst, genauso steht es auf dem Ortsschild,  aber sobald man in dem 1700 Seelen Städtchen angekommen ist, sieht man eh  nur noch den Namen meines Interviewpartners, in Wahrheit schon vorher. In einem Umkreis von mindestens 50 Kilometern ist „Würth“ überall präsent, und da wo nicht Würth  draufsteht, ist oft auch noch Würth drin, 

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wie in dem Schraubenwerk Gaisbach, etcetera pepe und wäre das Bundesland hier nicht mit  tt, sondern mit th geschrieben, machte Baden Würt(h)enberg  jetzt natürlich jede Menge Sinn.

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„Herr Würth, Sie haben im Alter von nur 19 Jahren den kleinen Schraubenhandel ihres Vaters übernommen, mit einem Jahresumsatz von 350 000 Mark, und daraus ist mittlerweile ein Weltkonzern mit 17 Milliarden Umsatz jährlich geworden, Ihre ersten Lieferungen haben Sie mit einem Leiterwagen von Dorf zu Dorf gezogen, das erledigt jetzt eine Armada von Lastwagen für Sie, und Sie persönlich sind mittlerweile entweder auf einer 87 Meter langen Yacht oder in ihrer Cessna unterwegs, die sie auch selbst fliegen...“

 

„Nein, keine Cessna.“

 

„Aber ich habe über Sie gelesen, dass Sie auf einem Flug von ihren Niederlassungen in China in Ulaanbaatar zwischenlanden mussten, um Ihre Cessna zu betanken, was nebenbei zur Gründung einer Würth Niederlassung in der Mongolei geführt hat, und...“

 

„Das war keine Cessna“, sagt Reinhold Würth. „ Das war ein dreistrahliger Düsenjet“.

 

„Dann hat mein Kollege wohl etwas missverstanden. Und ich konnte es auch nicht glauben. Mit einer Cessna von China nach Deutschland!  Die hüpfen von Luftloch zu Luftloch. Ich bin einmal mit Beate Uhse in ihrer 

 

Cessna über die Lübecker Bucht geflogen. Das war ihre Bedingung für das Interview mit ihr. Sie macht es nur in der Cessna. Und als wir über den Wolken waren, übergab sie mir das Steuer, und ich durfte ihr nur solange meine Fragen stellen, wie ich selber fliege und ich sage Ihnen, Herr Würth, das wurde ein sehr kurzes Interview.“

 

Als ich mit der Anekdote über die Sexartikel – Unternehmerin begann, meinte ich ein leichtes Unbehagen bei meinem Gegenüber zu spüren, aber das Ende der Geschichte gefiel ihm. Dass man auf diese Art ein Interview steuern kann, findet er amüsant, außerdem ist er ja nicht nur ein 83-jähriger Ehrenmann mit einem konservativen Wertesystem, sondern auch ein Pilot.

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„Nicht mehr“, sagt Reinhold Würth.“ Ich habe meine Lizenz vor zwei Jahren abgegeben. Meine Augen werden schwächer. Und es war mir wichtig, dass ich es unaufgefordert tue. Ich wollte nicht, dass mein Arzt es mir irgendwann verbieten muss.“

 

Ähnlich erwachsen argumentierte der Konzernherr vor etwa 20 Jahren, als er sich aus dem operativen Geschäft herausnahm und die Führung des Unternehmens seinen Managern überließ. Er wolle nicht, dass irgendwann

und möglicherweise Altersstarrsinn die Geschäfte behindere, sagte er damals, gleichzeitig aber übernahm er den Vorsitz des Stiftungsbeirates, der ihm, wenn nötig, das letzte Wort überließ. Wenn die Dinge aus dem Ruder zu laufen drohten, nahm er die Macht zurück. „Selber Schuld“, sagte er dann gern zu seinen Leuten, „aber sobald ihr wieder alles richtig macht, bin auch ich wieder weg“.

 

Er macht einfach alles richtig und das bringt mich zu meiner eigentlichen Frage zurück, die ich übrigens auch gleich selbst beantworte, und diese Interviewführung finde ich grad wirklich schlimm.

 

„Herr Würth,  wenn ich so extrem erfolgreiche Menschen wie Sie treffe, möchte ich natürlich von ihnen lernen, wie man so erfolgreich sein kann...(Pause)...aber wenn ich es recht bedenke, geht das eigentlich nicht...(Pause)...weil jeder so ist, wie er ist.“

 

„Ja“, sagt der Patriarch der Schrauben. „Das stimmt“.

 

Am Anfang ist immer die Idee. Und je einfacher sie ist, desto Größeres erwächst aus ihr, denn komplizierte Ideen funktionieren nicht. „Schrauben braucht jeder“. Das war die überaus einfache Idee seines Vaters Adolf Würth. Und der hatte sie zur richtigen Zeit. Am 16. Juli 1945 eröffnete er in der Schlossmühle seines Heimatortes einen Schraubengroßhandel, denn nach dem Ende des zweiten Weltkriegs gab es in und um Künzelsau jede Menge aufzubauen. „Schrauben braucht die ganze Welt“. Das wiederum war die überaus einfache Idee des Sohnes, der das kleine Unternehmen 1954 übernahm.

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Traditionell belieferten Schraubenhändler nur Kunden in ihrer Region, Reinhold Würth aber suchte und fand  seine Abnehmer  schon bald über die Grenzen Hohenlohes hinaus, erst in Deutschland, dann in Europa, und schließlich rund um den Globus, keinen Kontinent ließ er aus, und hätte es die technischen Möglichkeiten sowie die Nachfrage dafür gegeben, würde er heute mit einiger Sicherheit auch unsere Nachbargestirne beliefern. Würth auf dem Mond, Niederlassungen auf dem Mars.

 

Ich scherze, gewiss, aber nur halb. Apropos halb. Die richtige Idee ist die eine Hälfte des Erfolgs, der richtige Mann, die andere. Und schon wieder kommt sein Vater ins Spiel. Weil Adolf Würth einen Herzfehler hatte, wollte er mit der Ausbildung seines Nachfolgers so früh wie möglich beginnen und nahm deshalb den Sohn mit 14 aus der Schule heraus. 

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Fünf Jahre blieben ihm, um aus dem Junior einen Schraubenhandel-Fachmann und Unternehmer zu machen und als er 1954 starb, lebte in seinem Sohn das Wissen und Können des Vaters weiter, aber auch sein Mantra (schaffe, schaffe, schaffe) und sein Charakter, dessen tragende Säulen Zuverlässigkeit und Berechenbarkeit sind, und selbst  das Wissen um den Wert der richtigen Frau hatte Reinhold Würth quasi geerbt. Wie sein Vater fand er seine große und einzige Liebe in einem Kirchchor und wusste, was sich gehört. 

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Er sprach sie nicht sofort an, sondern erkundigte sich nach ihrem Namen und  ihrer Adresse, dann bat er ihre Eltern um die Erlaubnis sie auszuführen. Seitdem macht Carmen Würth für ihn das, was seine Mutter für seinen Vater getan hat. Sie hält ihm den Rücken frei, sie ist sein Ruhepol und seine große energieaufladende – Batterie. Drei Kinder, zwei Enkel, und ein glücklicher Patriarch in ihrer Mitte, so kann man nicht werden, wenn man es im Kern nicht schon immer war, oder, um es mit den Worten eines Krupp zu sagen, Georg Krupp, dem ehemaligen Vorstandsmitglied der Deutschen Bank: „Reinhold Würth ist ein geborener Unternehmer. Das kann man so nicht lernen, das ist ihm in die Wiege gelegt worden.“

 

Ich verabschiede deshalb meinen Wunsch, von einem Milliardär zu lernen, wie man ein Milliardär wird, und verlege mich stattdessen aufs Philosophieren. Zum Beispiel, über das Wesen der Träume.

 

„Herr Würth, die Türken sagen, dass man seine Träume verliert, sobald man sie realisiert. Meine Erfahrungen bestätigen das, aber bei mir ist es nicht so schlimm, weil es in meinem Leben noch genügend Träume gibt, die nie in Erfüllung gegangen sind. Bei einem Milliardär stelle ich mir das schon schwieriger vor, zumindest für die Träume, die man mit Geld kaufen kann.“

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Und was sagt er?

 

„Ach,  wissen Sie“, sagt der Milliardär und greift sich dabei in die Hosentasche, „ich habe eigentlich nie Geld bei mir. Und wenn ich unterwegs mal welches brauche, frage ich meinen Chauffeur, ob er mir 20 Euro leihen kann“.

 

Reinhold Würth lächelt, bei mir ist es mehr, ich muss lachen und es bleibt dabei, weil er auch meine nächste Frage nur noch mit Humor parliert. Vielleicht nimmt er mich nicht mehr ernst, vielleicht stimmt auch das Gegenteil, aber mir ist das letztendlich egal, denn wer ein Lachen bringt (auch das sagen die Türken), bringt immer ein Geschenk. Ich ziehe also mit dem Finger eine imaginäre Linie über den fabelhaften Konferenztisch, an dem wir sitzen, die steil nach oben führt, ohne Abstürze, ja, sogar ohne jegliche Zacken, um den Verlauf seiner Erfolgsgeschichte zu demonstrieren.

 

„Hat es denn wirklich nie einen Bruch in Ihrem Leben gegeben, Herr Würth?“

 

„Oh doch“, sagt er und zeigt auf seinen Fuß. „Ich habe mir mal einen Knöchel gebrochen.“

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Wir wissen beide um das Understatement. Natürlich war der frühe Tod seines Vaters ein großer Bruch in seinem Leben, aber auch eine große Herausforderung. Mit 19 nicht nur die Firma, sondern auch die Ernährung der Mutter und der Geschwister zu übernehmen, ist mehr als ein Sprung ins kalte Wasser und auch mehr als learning by doing, das ist arbeiten mit dem Rücken zur Wand. Show down jeden Tag. 

Entweder er holt Aufträge rein oder die Familie muss es ausbaden. Dieser Druck in Kombination mit der Freude an seinem Tun erklärt ebenfalls seine frühen (höchst erstaunlichen), wie auch seine späteren (gigantischen) Erfolge. „Verkäufer ist für mich der schönste Beruf der Welt“, sagt Reinhold Würth und das sagt er diesmal nicht als Scherz. „Warum“, frage ich, denn ich kann das nicht nachvollziehen. „ Ich mag Verkaufen nicht. Es ist mir peinlich, ich weiß auch nicht warum. Ich vertraue eher darauf, dass sich die Ware von selbst verkauft.“

 

Reinhold Würth nickt.

 

„Das stimmt. Die Ware verkauft, aber der Verkäufer natürlich auch.“

Vor allem, wenn er das Verkaufen liebt, deshalb noch einmal: Warum liebt er es? Er nennt drei Gründe. Der erste ist das Reisen, und davon hatte ich schon gehört.

 

„Reisen ist Leben und Leben ist Reisen, haben Sie einmal gesagt. Ist der Satz von Ihnen, Herr Würth.“

 

„Ja“

 

„Kompliment, der Satz ist so schön wie ihr Globus.“

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„Was für ein Globus?“

„Na der, der vor der Tür Ihres Büros steht. Ich liebe Globen, und das ist mit Sicherheit der prachtvollste, den ich je gesehen habe. Was hat er gekostet?“

 

„Ach“, sagt Reinhold Würth und lacht, „das weiß ich nicht mehr“.

 

Ein riesiger Globus und auf dem Metallreifen, der sich wie ein Meteoritengürtel um ihn legt, sind die wichtigsten Stationen seines Reiselebens eingraviert.

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-       1951 Schweiz, Begleitung und             Chauffeur für den Vater

-       1957, Rimini, 1. Reise nach                   Italien

-       1967, erster Flug mit eigener               Maschine nach Spanien

-       1984, Istanbul,                                       Geschäftsführer - Konferenz

-        1985, 1. Flug mit der                             Concorde nach den USA

-        2015 Wien, letzter Flug als                 Pilot.

 

Das sind natürlich nur einige, sehr wenige  Beispiele aus seiner Globusliste, die ihrerseits ebenfalls schwer lückenhaft ist, denn Reinhold Würth war sein ganzes Leben unterwegs und ist es immer noch. Allein mit seiner Yacht verbringt er zweimal jedes Jahr zwei Monate auf den Weltmeeren.

 

Der zweite Grund, den Reinhold Würth für seine Liebe zum Verkaufen benennt, sind all die Menschen, die man dabei kennenlernt und all die interessanten Gespräche, die man mit ihnen führt und auch davon künden die Eingravierungen auf seinem fabelhaften Globus von Bellerby & Co.

 

1999- Künzelsau, Besuch des Dalai Lama in der Firmenzentrale

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-         2000  London , Treffen mit Nelson Mandela

-         2002 Vatikan, Privataudienz bei Papst Johannes Paul II

         

U.s.w. u.sw.... und wer hat ihm am besten gefallen?

 

„Nelson Mandela. Dass ein Mann unschuldig 25 Jahre im Gefängnis sitzt und nachher keine Rache will, obwohl er die Macht dafür gehabt hatte, beeindruckt mich bis heute.“

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Verkäuferglück Nr. 3.

 

„Beim Verkaufen habe ich mir eine gute Menschenkenntnis angeeignet“, sagt Reinhold Würth. „Wenn ich eine Stunde mit einem Menschen zusammen bin, kann ich mir schon ein Bild von ihm machen.“

 

Das half ihm sehr bei der Auswahl seiner Mitarbeiter. Der Konzern ist bekannt für seine internen Karrieren. Viele von denen, die vor Jahrzehnten bei ihm als Lehrling begannen, begleiteten ihn sein ganzes Leben und sind heute Top Manager seines Unternehmens. Eine gute Menschenkenntnis ist pures Gold für jedes Geschäft und für einen kurzen Moment reizt es mich, die Probe aufs Exempel zu machen, aber erstens sitzen wir hier nicht schon seit einer Stunde, sondern erst seit 40 Minuten zusammen, und zweitens bin ich gar nicht so scharf darauf, zu erfahren, was Reinhold Würth von mir denkt.

 

Nicht, weil meine Erfolgslinie dem Panorama einer Gebirgskette gleicht, in dem sich Gipfel und Schluchten ablösen, so weit das Auge reicht. Das ist normal. Und nicht, weil mein Liebes – und Familienleben das Gegenteil von seinem war, denn das ist in meiner Generation, die aus lauter durchgeknallten 68er besteht, auch normal. Überhaupt nicht normal dagegen ist meine Garderobe.

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Für ein Treffen mit Reinhold Würth bin ich skandalös underdressed, denn es ist bekannt, wie viel Wert er auf ein korrektes Äußeres legt. Ich wusste das, aber das Wissen half mir nichts, weil ich direkt von einer sechstägigen Lesereise nach Künzelsau kam und sich jedes Kind denken kann, wie man nach sowas aussieht. Aber ich hatte einen Plan. In Hannover kaufte ich mir ein neues Hemd, weil mir zwischen zwei Zügen eine halbe Stunde verblieb und ich schon vom Bahnsteig aus sehen konnte, dass H&M in der Nähe war. Die neue Hose erstand ich, bevor ich

 

in Bad Mergentheim in den Bus gestiegen bin und die Schuhe waren für Künzelsau terminiert, aber dass  der Bus mit mir, ich erwähnte es schon, eine volle Stunde durch das schöne Hohenloher Land, bergauf, bergab und in jedes noch so abgelegene Dorf fuhr, um dort Schulkinder ein – und auszuladen, war nicht Teil meines Plans. Aber auch nicht Teil meiner Scham. Das kann passieren, dass man Busfahrpläne in Nordfranken, oder wo auch immer wir hier gerade sind, nicht auswendig kennt und der letzte Notkauf deshalb nicht mehr funktioniert, aber was nicht passieren darf, ist, dass man von oben nach unten beginnt, statt von unten nach oben. Weil die Schuhe das Wichtigste sind. Ich saß mit abgelaufen Nikis vor dem Konzernherr, und in den linken Schuh hatte die Ochsentour ein Loch gerissen. Kein großes, aber er hat es sofort gesehen. Nein, ich will grad wirklich nicht wissen, welches Bild er sich nach 40 Minuten von mir gemacht hat, aber er antwortet einfach ungefragt.

 

„Sie sind ein Romancier“, sagt Reinhold Würth beim Abschied zu mir, und diese Großzügigkeit macht ihn auf der Stelle zu meinem Lieblings-Milliardär.

 

Drei Tage später.

 

Ich sitze gutgekleidet mit 500 anderen gutgekleideten Gästen in einer Konzerthalle, die Reinhold Würth in Sichtweite der Konzernzentrale zum 80. Geburtstag seiner Frau gebaut und gewidmet hat und deshalb ihren Namen trägt.  „Carmen Würth Forum“. 

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Wir lauschen Beethovens, vorgetragen vom „Unesco World Orchester for Peace“, in dem Konzertmusiker aus allen möglichen Nationen seit etwa 20 Jahren zusammen spielen. Verstärkt werden sie von dem Orchester des Konzerns, den „Würth Philharmoniker“ und von dem Chor des Bayerischen Rundfunks und der Mann mit dem Taktstock und der wilden Frisur ist auch nicht irgendwer, sondern Donald Runnicles, einer der bedeutendsten zeitgenössischen Dirigenten der Welt und seit 2006 Generalmusikdirektor der Deutschen Oper Berlin. Vorher war er Music Director der San Francisco Opera und seine Lulu-Produktion an der MET in New York gerieten zur Sensation. In Künzelsau dirigierte er Beethovens 9. Es ist ein Friedenskonzert. Das Ende des 2. Weltkriegs jährte sich zum hundertsten Mal und was passt besser dazu, als die Ode „An die Freude“ und die Hoffnung auf das Ende aller Kriege.

 

„Alle Menschen werden Brüder

Wo dein sanfter Flügel weilt.“

 

Es ist des großen Komponisten positivstes Werk, im göttlichen Rausch geschaffen, und während ich ihm lausche, wird mir plötzlich klar, warum meine Frage an Reinhold Würth, ob ein Milliardär nicht irgendwann alle Träume verliert, gaga war. Beethoven hatte die Sinfonie 1824 in Wien uraufgeführt und Schiller den Text dazu geschrieben und das ist mittlerweile fast 200 Jahre her, und trotzdem sind bis heute alle Menschen mitnichten Brüder geworden, nicht einmal alle Europäer haben das geschafft. Nein, auch der 11fache Milliardär (das sind 11 000 Millionen) hat noch immer Träume und arbeitet unter anderem mit Konzerten wie diesem fleißig daran, ihn zu realisieren. Er ist ein überzeugter Europäer, und gibt dafür, was er geben kann, und das ist viel. Trotzdem ist der entscheidende Eindruck, den Reinhold Würth bei seinem Grußworte auf der Bühne macht, der Respekt vor dem Publikum, sowie eine von Erfolgen unabhängige, zutiefst neuapostolische Bescheidenheit, die in dem Glauben wurzelt, dass wir alle in Gottes Schöpfung a) nur kleine, und b) vergängliche Schrauben sind, egal wie groß und ewig die Räder erscheinen, die wir in unserem Leben drehen.

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Erschienen im Bilanz Magazin Deutschland

Autor Helge Timmerberg

Credits

Vielen Dank an Reinhold Würth für das private Familienalbum

Fotomontage Limousine im Himmel:

Maielin van Eilum

Karel Jaromír Erben / "Venceslav cerny svec a cert" / Wikimedia Commons

Photo: Helge Timmerberg 

Frederico Balboa

Korrektorat: Nadia Ratti, Bastian Exner

und Anna Staudacher

Reinhold Würth

Herr der Schrauben

 von Helge Timmerberg

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Als sein Vater verstarb, da war er gerade neunzehn. Er übernahm die elterliche Schraubenhandlung und schuf daraus ein Weltunternehmen mit 13,6 Milliarden Euro Umsatz und mehr als 77.000 Mitarbeitern (2018). Reinhold Würth hat es allen gezeigt: Künzelsau wurde zum Sitz eines Weltkonzerns. Wer ist dieser Mann, der durch Schrauben reich wurde und als vielleicht letzter Patriarch Deutschlands alle Entscheidungen in seinem Unternehmen kontrolliert bis ins letzte Detail? Wie waren seine Anfänge? Welche Rolle spielt seine Familie? Helge Timmerberg begibt sich auf die Spurensuche – und taucht tief ein in eine unglaubliche Geschichte von Macht und Milliarden …

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